Totale Kontrolle
In der Region Xinjiang unterdrückt China die muslimische Minderheit. Dazu wurden geheime Umerziehungslager errichtet – und ein Hightech-Überwachungssystem, das zeigt, wie Diktaturen von morgen aussehen könnten. Eine Reise durch eine Welt, von der niemand wissen soll.
Foto: Harald Maass
XINJIANG, CHINA - Mit einem Wink deutet der chinesische Grenzpolizist auf
das Förderband. Mit erhobenen Händen muss ich mich auf das schmale Band
stellen, das mich langsam durch eine große, graue Maschine zieht. Ein
Brummen ertönt, während die Elektronik mich von Kopf bis Fuß
durchleuchtet. Gleich werden die Beamten mein Gepäck durchwühlen. Die
privaten Fotos und Nachrichten auf meinem Handy begutachten, Dokumente auf
meinem Computer öffnen. Meine Fingerabdrücke scannen, mein Gesicht
fotografieren. Und sie werden Fragen stellen: Warum ich einreisen will?
Was mein Beruf ist? Ob ich Freunde oder Bekannte habe, die ich besuchen
werde? Eine halbe Stunde dauert das Verhör. Dann stehe ich im gleißenden
Sonnenlicht auf der Straße.
Durch die Region Xinjiang im Westen Chinas zogen einst die Karawanen
entlang der Seidenstraße, um Gold und Glas ins Reich der Mitte sowie Seide
und Porzellan auf dem Rückweg zu transportieren. Über Jahrtausende hinweg
verbanden die Oasenstädte hier den Osten mit dem Westen. Heute ist das
Wüstengebiet, mehr als viermal so groß wie Deutschland, ein
Experimentierfeld für Chinas Überwachungsstaat – technisch hochgerüstet
wie kein anderer Ort der Welt. Eine Dystopie aus Hightech- Kontrollen und
Polizeiwillkür. Ein Gebiet, in dem die Menschen rund um die Uhr vom Staat
bespitzelt werden. Von Kameras, die jeden Weg und jede Begegnung
aufzeichnen. Von staatlichen Aufpassern, die sich für Wochen in den
Häusern der Familien einquartieren und in deren Betten schlafen. Jeder
steht unter Verdacht: ein Bart oder traditionelle Kleidung? WhatsApp,
Facebook oder andere verbotene Apps auf dem Handy? Regelmäßiges Beten?
Häufiges Tanken? In Xinjiang reicht das, um in einem System aus geheimen
Umerziehungslagern und Gefängnissen zu verschwinden. (...)
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Erschienen am 15.3.2019 im SZ-Magazin
Erschienen am 23.3.2019 in DAS MAGAZIN
Erschienen am 15.4.2019 bei Tortoise Media
Weiterer Artikel zum Thema am 14.12.2019 in The Spectator
Podcast zum Thema am 3.1.2020 im Weltspiegel