Lustreisen ins Land des Hungers

Nordkoreas verarmtes Regime versucht wohlhabende Chinesen ins Land zu locken – mit Glücksspiel und käuflichem Sex.

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Foto: Reuters

RASON, Nordkorea - Langsam rollt der chinesische Bus Marke Golddrachen auf die Grenzbrücke zu. Ein nordkoreanischer Soldat in brauner Uniform hebt das Gewehr. „Heute Nacht suchen wir uns koreanische Mädchen“, ruft Kong, der Beamte aus Shanghai. Die Reisegruppe, die meisten chinesische Männer mittleren Alters, jubelt auf. Der Bus ist von der nordchinesischen Stadt Yanji nach Nordkorea unterwegs. Zwei Stunden wird die Fahrt von der Grenze über den holprigen Feldweg dauern. Vorbei an ausgezehrten nordkoreanischen Bauern und halb zerfallenen Plattenbauten. Ziel der Reise ist das Hotel „Emperor“ in Rason – das skurrilste Spielkasino der Welt.

„Willkommen“, ruft der Hotelpage auf Chinesisch und verbeugt sich. Der Anstecker mit dem Kopf des verstorbenen Diktators Kim Il Sung, den alle erwachsenen Nordkoreaner auf der Brust tragen müssen, wirkt auf der Hoteluniform im altenglischen Stil merkwürdig. Chinesische Hostessen, in aufreizend hoch geschnittenen Kleidern, lächeln zur Begrüßung. Herr Kong und seine Reisefreunde marschieren jedoch gleich in Richtung Kasino weiter, das an die Hotellobby grenzt. Glücksspiel ist in der Volksrepublik China streng verboten. Jedes Jahr reisen deshalb Tausende Chinesen nach Rason. Lustreisen in ein hungerndes Land.

Das „Emperor“, vor vier Jahren von einer Hongkonger Investmentfirma in eine idyllische Sandbucht gebaut, ist einzigartig in Nordkorea. Eine kapitalistische Oase im letzten streng sozialistischen Staat der Erde, in dem bis vor kurzem selbst Bauernmärkte verboten waren. Die prunkvolle Hotellobby ist mit Marmorsäulen und künstlichen Palmen dekoriert. Durch ein riesiges Panoramafenster blicken die Hotelgäste auf das Meer. Junge nordkoreanische Bedienungen, jede mit einem Kim Il Sung Anstecker auf der Uniform, servieren auf weiß gedeckten Tischen Hamburger und Coca Cola – in Nordkorea das Symbolgetränk des Erzfeindes USA.

„Es gibt viele Amerikaner, die gerne nach Rason kommen würden“, sagt Frau Pak und lächelt. „Aber sie dürfen natürlich nicht kommen, weil die US-Regierung uns gegenüber so feindlich ist“. Frau Pak ist unsere koreanische Reiseleiterin und Aufpasserin. Im Grenzhaus stand sie plötzlich und unangekündigt vor uns, und seitdem lässt sie uns keinen Moment aus dem Auge. Wir seien die ersten Europäer in diesem Jahr in Rason, erklärt Frau Pak. Damit wir auf keinen Fall alleine die Stadt besuchen, wohnt Frau Pak während unseres Aufenthalts in einem Spezialtrakt des Hotels im Untergeschoss. Offiziell sind wir als Touristen im Land. Um das Visum zu beantragen, mussten wir einen Lebenslauf einreichen. „Natürlich dürfen sie fotografieren“ erklärt Frau Pak mit einem Lächeln. „Aber nur die schönen Dinge in unserem Land.“

Die 150 luxuriösen Zimmer des „Emperor“ sind nur für Chinesen und Ausländer mit harter Währung. Nordkoreaner dürfen, mit Ausnahme der Angestellten und Reiseleiter, das Hotel nicht betreten. Pjöngjangs Regime will den Kontakt seiner Bürger mit der Außenwelt möglichst verhindern. Die Angst mag nicht ganz unbegründet sein. Die jungen nordkoreanischen Bedienungen im Restaurant, die mit ihren schwarzen Basketballkappen wie amerikanische Verkäufer aussehen, träumen bereits vom Leben im reichen China. „Ich würde gerne Englisch lernen und mit einem Computer arbeiten können“, sagt Kim. Die 22jährige wirkt so dynamisch, wie man es in Nordkorea sonst nirgendwo erlebt. Kim ist eine von 220 nordkoreanischen Angestellten, seit vier Jahren arbeitet sie im Hotelrestaurant. Chinesisch habe sie sich selbst beigebracht, erklärt sie mit leuchtenden Augen. „Ich rede gerne mit den chinesischen Gästen.“

Nach China darf Kim natürlich nicht reisen. Auch das chinesische und japanische Satellitenfernsehen in den Hotelzimmern ist für sie tabu. Nordkoreaner dürfen von Staats wegen nur einen einzigen Propagandasender sehen, der vor allem die Heldentaten des „Geliebten Führers“ Kim Jong Il preist. Das „Emperor“ ist auch das einzige Hotel im Land mit einem Pornofernsehkanal. Sex ist im chinesischen Tourismusgeschäft wichtig. „Unsere erfahrenen Masseusen werden sicherstellen, dass sich jeder Zentimeter ihres Körpers entspannt“, wirbt die im Keller gelegene Hotelsauna. Nachts sitzen junge Chinesinnen, die Gesichter zu stark geschminkt, in der angrenzenden Karaoke-Bar und lächeln den Männern zu.

„Choi pai!“, ruft Herr Wang und wirft verärgert seine Karten auf den Spieltisch – „stinkende Karten!“. Wang ist aus der nordchinesischen Stadt Shenyang nach Rason gekommen, um für zwei Tage zu spielen. „Dreihundert Dollar liege ich im Minus“, erklärt er. Das Kasino, ein großer, mit Teppich ausgelegter Raum, ist rund um die Uhr geöffnet. Schon am Nachmittag ist die Hälfte der Tische besetzt. An den meisten wird Baccara und Blackjack gespielt. Am Eingang stehen mehrere Reihen Einarmiger Banditen, die offenbar gebraucht aus den USA nach Nordkorea gekommen sind. „Nevada Nickels“ und „Money Maker“ steht auf den Maschinen. Zwei junge Chinesen, jeder mit einer Zigarette in der Hand, werfen Münzen ein. Wie fast alle Gäste sind sie mit einer Reisegruppe gekommen. 750 Yuan kosteten die Einreiseerlaubnis und zwei Übernachtungen – 75 Euro. Von der nordkoreanischen Stadt Rason oder der Umgebung haben sie nichts gesehen. „Wir sind nur zum Spielen hier“, erklärt einer.

Es ist der Spieltrieb, der trotz der mühevollen Anreise die Chinesen nach Nordkorea treibt. Um nach Rason zu fahren, brauchen Chinesen ein spezielles Ausreisezertifikat. In dem kleinen Grenzhaus durchleuchten Soldaten mit groben Gesichtern alle Taschen. Offenbar aus Angst vor Spionen ist die Einfuhr von Mobiltelefonen streng verboten. Weil in Nordkorea alle Radios so eingestellt sind, dass nur die staatlichen Propagandasender empfangen werden können, darf man auch keine Radios mitbringen. Unsere Grenzkontrolle dauert mehr als eine Stunde. Ein Soldat tastet uns am Körper ab. Ein anderer blättert argwöhnisch durch die mitgebrachten Zeitschriften und Bücher. Danach wird jedes Druckerzeugnis in eine Liste eingetragen. Das Regime will verhindern, dass sich unzensierte Informationen im Land verbreiten.

Das „Emperor“ verdankt seine Existenz dem verstorbenen Diktator Kim Il Sung und den Vereinten Nationen. Drei Jahre vor seinem Tod 1994 hatte der „Große Führer“ und Vater des heutigen Diktators in den Städten Rajin und Sonbong eine Sonderwirtschaftszone ausgerufen. In der Hoffnung, dass Nordkorea den chinesischen Weg der Wirtschaftsreformen einschlagen könnte, entwarf das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) Pläne für einen Handelsfreiraum zwischen Nordkorea, China und Russland. Pjöngjangs Regime erklärte das Gebiet zur „Rajin Sonbong Freihandelszone“ und lud Investoren ein.

Die Pläne fielen bald in sich zusammen. Die nordkoreanischen Kader wollten zwar Geld aus dem Ausland kassieren, für bessere Straßen und andere Infrastruktur wollten sie jedoch nichts ausgeben. Schätzungen zufolge flossen bis 2000 nur 35 Millionen US Dollar an Investitionen in die mittlerweile in Rason umgenannte Zone. Das meiste in japanische Kleinprojekte zum Fischfang. Einzig die Hongkonger Emperor Group, eine in vielen Branchen tätige Finanzfirma, wagte mit dem Kasinohotel eine Großinvestition. Drahtzieher des Geschäfts ist Albert Yeung, einer der reichsten und mächtigsten Tycoons in Hongkong. Yeung war im vergangenen Jahr wegen Korruptionsvorwürfen kurzzeitig in Haft. Auch die Geschäfte im nordkoreanischen Kasino sind undurchsichtig. Bezahlt werden kann nur in bar und mit chinesischen Yuan oder US-Dollar – vieles davon ist angeblich chinesisches Schwarzgeld. 300.000 Dollar soll der Chef einer chinesischen Ölfirma aus Yanji im Kasino verspielt haben. „Dann hat er sich im Keller des Hotels erhängt“, berichtet ein Chinese, der regelmäßig nach Rason kommt.

Stadtrundfahrt am frühen Abend. Frau Pak besteht darauf, dass wir mit einem eignen Bus durch Rason fahren. In vielen der kahlen Plattenbauten brennt kein Licht. Nur wenige Autos sind zu sehen. Wir sehen ärmlich gekleidete Nordkoreaner, die offenbar lange Strecken zu Fuß zurücklegen. Unser erster Stop ist der Buchladen für Auslandssprachen: In einem dunklen Raum hinter verstaubten Vitrinen liegen die Werke der beiden Kim Diktatoren. Der neuste erhältliche Stadtplan ist von 1996. Als wir zu Fuß durch die Stadt laufen wollen, drängt uns Frau Pak wieder in den Bus. Immerhin erlaubt sie uns einen Besuch des Marktes: Auf kleinen Decken auf dem Erdboden verkaufen alte Frauen Gemüse. Nebenan gibt es Batterien, Seifen und andere Haushaltsgegenstände aus China. Im Vergleich zum Großteil des Landes, wo Nordkoreaner Hunger leiden, ist die Versorgung in Rason vergleichsweise gut.

Im Kasino herrscht mittlerweile Hochbetrieb. Seit Stunden sitzen die chinesischen Gäste an den Spieltischen, rauchen und fluchen. Damit niemand müde wird, schenken zwei nordkoreanische Bedienungen Cola und Tee aus. Am Eingang zum Kasino kommt es kurz zu Handgreiflichkeiten, als zwei Nordkoreaner versuchen, heimlich in das Kasino zu kommen. „Dieses Land ist verrückt. Die sind noch immer in der Kulturrevolution“, sagt ein chinesischer Geschäftsmann. Unser Mitreisender Kong wird am nächsten Morgen 1000 Dollar gewonnen haben. „Mit den Mädchen war leider nichts“, sagt er und reibt sich die Müdigkeit aus den Augen. Frau Pak saß seit früh morgens in der Hotellobby, um zu verhindern, dass wir alleine in die Stadt gehen. Vor der Abreise will sie die Busgebühren vom Vortag kassieren. Bezahlt werden soll in chinesischen Yuan. Wie viel wir ihr schulden? „Je mehr, desto besser“, sagt die Kaderfrau.

Erschienen in Frankfurter Rundschau

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