Pekings Vollstrecker
Der im Ausland kaum bekannte KP-Funktionär Chen Quanguo ist Architekt einer gnadenlosen Assimilierungspolitik - und gehört bald zu den mächtigsten Männern Chinas.
Illustration: Marco Wagner
XINJIANG, CHINA - Wenn Parteisekretär Chen auf Inspektionsreise ist, lässt er manchmal mitten in
einer Stadt seine Autokolonne stoppen und die Notrufnummer der Polizei anrufen. Chen Quanguo, ein schlanker
Mann mit dem typischen schwarzen Scheitel hochrangiger chinesischer Kader, wartet dann in seiner Limousine und
stoppt die Sekunden, bis das Polizeikommando eintrifft. Wenn die Sicherheitskräfte zu lange brauchen oder der
Einsatz nicht seinen Erwartungen entspricht, zieht Chen die lokalen Kader zur Rechenschaft. „Eine Sekunde
früher anzukommen, erhöht die Sicherheit der Massen um ein Stück“, sagte Chen bei einem Besuch in der
Metropole Ürümqi, als die Polizei 54 Sekunden bis zum Einsatzort brauchte.
Die Botschaft hinter den unangekündigten Tests ist klar. Chen, der in den vergangenen Jahren Tausende neue
Umerziehungslager und Gefängnisse in den vor allem von Minderheiten bewohnten Regionen in Westchina bauen
ließ, verlangt von seinen Untergebenen die totale Kontrolle der Gesellschaft. Der 64 Jahre alte Hardliner,
derzeit Parteisekretär der rohstoffreichen Wüstenregion Xinjiang, steht wie kein anderer KP-Kader für Pekings
harsches Vorgehen gegen ethnische Minderheiten. Die einstigen Unruheprovinzen Xinjiang und Tibet regiert er
mit einer autoritären Herrschaft, wie sie China seit Mao Zedong nicht mehr erlebt hat (...)
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Erschienen am 23.7.2020 auf Tortoise (UK)