Auf den Hund gekommen

Vor der Fußball-WM laufen Tierschützer Sturm gegen Korea, weil Hundefleisch dort als Delikatesse gilt. Dabei werden manche der Vierbeiner dort regelrecht verwöhnt.

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Foto: A. Cheng

SEOUL, Südkorea - Als Familienvater Sung am Morgen das Haus verließ, verabschiedete er sich wie immer auch von den beiden Hunden. Aufgeregt wedelten die Pekinesen mit dem Stummelschwanz. „Cheny“ und Chera“ haben sie die beiden Tierchen genannt - einer braun, einer weiß. „Sie sind ein Teil von unserer Familie, ihre Fotos kleben in unserem Familienalbum“, erzählt der 45jährige. Der dritte Hund, den Sung an diesem Tag trifft, hat keinen Namen - er köchelt in Lauchsoße auf dem Mittagstisch. Einmal in der Woche geht Sung Ha-Yul, der im grauen Anzug vor dem niedrigen Holztisch sitzt, mit seinen Geschäftsfreunden Hund essen. „Das Fleisch gibt mir Kraft“, sagt er.

Das „Wacholderbeer-Haus“, ein von Bäumen umgebenes Hofhaus, ist ein gemütlicher Gasthof außerhalb von Seoul. Die Speisezimmer sind im traditionellen koreanischem Stil, man sitzt am Boden. „Manchmal kommen auch Liebespaare hierher“, erzählt die Besitzerin Jung Chun-ja, eine rundliche Frau mit herzlichem Gemüt. Vor dem Haus wirbt sie auf einem Schild mit „Yong Yang Tang“ - „Nährwert Suppe“. Für die Gäste ist damit klar: Spezialität des Hauses sind Hunde - gekocht, geschmort oder „mit einer feinen Sesamsoße“, für die Frau Jung bekannt ist. Das „Wacholderbeer Haus“ ist ein Hunde-Restaurant. „Hundefleisch ist für uns Koreaner eine Delikatesse“, erklärt die Wirtin Jung.

Ginge es nach der südkoreanischen Regierung, würde Frau Jung ihre Kochrezepte besser für sich behalten. In wenigen Tagen beginnt in dem Land die Fußballweltmeisterschaft, und Tierschutzverbände laufen wieder einmal Sturm gegen Korea: Der Verzehr von Hunden sei eine „barbarische Grausamkeit“, werfen sie den Koreanern vor. Von unmenschlicher Haltung, todgeprügelten und misshandelten Hunden ist die Rede. Die französische Ex-Schauspielerin Brigitte Bardot verglich Koreas Hunde-Liebhaber mit Kannibalen. „Das Essen von Hunden ist wie das Essen von Menschen“ zürnte die Diva in einem Interview. Als der Präsident des internationalen Fußballverbands, Joseph Blatter, in einem Brief an Seoul „sofortige Maßnahmen“ gegen die Hundequälerei forderte, wurde die Angelegenheit zur internationalen Affäre. Die FIFA solle sich gefälligst aus den koreanischen Eßgewohnheiten heraushalten, konterte der Chef des koreanischen Fußballverbands, Chung Mong-jun. Droht die Fußball- WM auf den Hund zu kommen?

Zwei Millionen Hunde werden jedes Jahr in Korea verspeist. Doch das Geschäft ist ein Graubereich. Aus Angst vor Kritik aus dem Ausland hat die Regierung das Schlachten von Hunden formal nicht legalisiert. Der Handel mit der Delikatesse, die etwa doppelt so teuer ist wie Rindfleisch, floriert dennoch. Rund 6.000 spezialisierte Hunderestaurants gibt es in Korea. Die Hundefarmen, auf denen oft mehrere Tausend Vierbeiner in winzigen Käfigen gehalten werden, arbeiten im Verborgenen. „Ausländer verstehen nicht, dass Hundefleisch ein Teil unserer Kultur ist“, sagt Moon Deok-bong. Der Geschäftsmann setzt sich für eine Legalisierung des Hunde-Essen ein. Nur Hunde, die für das Schlachten gezüchtet würden, landeten in Koreas Kochtöpfen, betont Moon. „Wir essen keine Schoßhunde.“ Die Zubereitung. Gutes Hundefleisch dürfe „nicht zu fett sein und muss eine schöne rotbraune Farbe haben“, erklärt Frau Jung. Seit zehn Jahren kocht sie Hund. Vier Frauen arbeiten in der Küche, schneiden Gemüse und Zutaten in kleine Streifen. In zwei großen schwarzen Eisentöpfen köchelt das Hundefleisch. „Im Prinzip kann man Hund wie jedes andere Fleisch verwenden“, sagt Jung. Ein beliebtes Gericht ist „Bosintang“, eine herzhafte Hundefleischsuppe mit Lauch. „Zum Kochen nimmt man etwas Soja-Paste und natürlich Ginseng...“ Mehr verrät Frau Jung nicht, ihre Hunderezepte hält sie lieber geheim. Herr Moon hat bereits bestellt. Vor uns brodeln zwei Schüsseln Hunde-Eintopf. Noch ein Schluck koreanischen Soju-Schnaps zur Stärkung. Wir probieren: Der Geschmack ist durch die Gewürze streng. Das Fleisch erinnert an Rind, etwas zäher vielleicht, aber nicht schlecht. Ortswechsel - Seoul Innenstadt. Das „Igloo“ im neureichen Ab Gu Chung-Stadtteil ist ein Hunde-Cafe. Nicht dass man hier „Hot Dog“ wörtlich nimmt. Der elegante Laden, der auf einem Schild als „Fusion Dog Mania Cafe“ firmiert, ist Treffpunkt wohlhabender Hundebesitzer, die hier ihre Lieblinge verwöhnen lassen. 100 Hunde sitzen, hecheln und kläffen in dem mit Designer-Möbeln vollgestellten Raum. Die Pfoten von sich gestreckt döst ein Windhund auf der Couch. Ein Scotchterrier mit Strickjäckchen bellt sein Frauchen an. Die Speisekarte hält für die Rassehunde Erfrischungen bereit: Frisch-gepresster O-Saft für 2000 Won - rund 2,5 Franken. Für 4.000 Won gibt es „gekochtes Eigelb“. Wenn der Pudel schlapp macht, kann man ihm auch einen „entkoffeinierten Kaffee“ (2000 Won) bestellen. Hausfrau Chang ist mit Ehemann und Chow-Chow hier. „Am Anfang fand ich es etwas komisch, aber mittlerweile mag ich es hier“, sagt die 30jährige.

„Wir sind oft bis auf den letzten Platz voll“, sagt Manager Eae Yong-sun, während er zwei Milchkaffee aufbrüht. Hunden sei der Zutritt zu Parks und Grünlangen in Seoul verboten, erklärt er. „Bei uns können die Besitzer mit ihren Hunden in Ruhe spielen.“ Manche lassen ihre Tiere ständig unter der Obhut des Cafe, quasi als Hundepension. Kosten: Zwischen 10.000 und 30.000 Won am Tag, je nach Hundegröße. Manager Eae hat dafür fünf Angestellte, die sich rund um die Uhr um die Tiere kümmern. Aufgabe der Studentin Koh Han-hee ist es, den Kot und Urin wegzuputzen. Mit Klopapier und Reinigungsspray bewaffnet kriecht die 22jährige auf allen Vieren über den Plastikboden und unter die Plastikmöbel. „Nein, die Arbeit macht mir nichts aus“, sagt sie. Für läufige Hündinnen und hartnäckige Fälle gibt es im Igloo Windeln. „Sonst hat man das ganze Blut im Fell und auf der Jeans“, sagt ein Kunde.

Eine andere Stadt, ein anderes Hundeleben. In Wonpyong, einer staubigen Kleinstadt sechs Autostunden von Seoul entfernt, ist Hundemarkt. Hunderte Tiere werden hier am Tag gehandelt - ausschließlich Esshunde. „Nummer Sieben - was wird geboten!“, ruft der Auktionsleiter. Auf der Ladefläche des Pickup-Lasters sitzen fünf braune Mischhunde, aufgeregt nach Luft japsend. Auf kleinen Zetteln geben die Händler die Angebote ab, verhandelt wird nach Gewicht: Ein koreanisches Kun (rund 600 Gramm) kostet heute 4,800 Won. Nach zwei Minuten ist der Verkauf abgeschlossen. Ein Mann und eine Frau werfen die Hunde in einen Drahtkäfig, der kaum mehr als einen Meter Durchmesser hat. Die Tiere jaulen auf, die Gliedmaßen sind durch die Enge verrenkt und gegen den Maschendraht gedrückt. Den fünften Hund muss der Mann mit Gewalt in den Korb quetschen - dann ist das Bündel Hund für den Transport zum Schlachthaus bereit.

„Als Händler darf man zu dem Tier keine emotionale Bindung aufbauen“, sagt Kim Jang- won, der Betreiber des Hundemarktes. Er ist seit Jahrzehnten im Hundegeschäft, die blaue Basketball-Kappe scheint auf seinem Kopf angewachsen zu sein. Früher sei das Hundezüchten nur ein Nebenerwerb für die Bauern gewesen, sagt Kim. „Heute ist es ein normales Geschäft“. Der Innenhof, auf dem die Händler ihre Kleinlaster parken, ist heruntergekommen. Hinter Eisengittern bellen Hunde. Unter einer Veranda steht ein altes Plastiksofa. Männer spielen chinesisches Schach, die Gesichter stoppelbärtig. Die Züchter sind Koreas Cowboys - harte Männer, die auch mal einen bissigen Hund mit bloßer Hand aus dem Käfig zerren.

Die Aufzucht der Hunde ist industrialisiert. „Nach sechs Monaten sind sie groß genug zum Schlachten“, erklärt Kim. Zum Fressen bekommen die Tiere Industriefutter oder Essensreste aus Restaurants. Die Hunde leben die ganze Zeit im Käfig - fünf Tiere auf einer Fläche von rund drei Quadratmetern. Die trächtigen Weibchen kommen 90 Tage in einen Einzelkäfig. Auslauf gibt es keinen. Damit die Tiere keine Krankheiten bekommen, spritzen die Züchter Antibiotika. „Manchmal gibt es Kämpfe, oder ein Hund beißt den anderen tot“, sagt Kim. Das sei jedoch selten. Ein ausgewachsener Hund ist mehr als 100.000 Won wert.

„Die Hundezucht ist nicht grausamer als jede andere Tierzucht“, sagt Professor Ann Yong- Geun vom Chungcheong Institut. „Doktor Hundefleisch“ nennen Südkoreas Medien den Wissenschaftler, der ein 350-seitiges Buch über das Hundeessen geschrieben hat. Schon in der Choson-Dynastie seien in Korea Hunde verspeist worden, doziert Ann. Auch in Teilen Chinas gelte Hund als eine Delikatesse. Die Kritik aus dem Ausland bezeichnet er als „Kulturimperialismus“. Jedes Land habe seine eigenen Eßgewohnheiten. „Die Franzosen essen Frösche, in Deutschland gibt es Pferdemetzgereien.“ Hunde seien nicht vor dem Aussterben bedroht. Statt es zu verheimlichen, sollte die Regierung sich hinter die Hunde- Esser stellen. „Hundeessen ist ein Teil der koreanischen Kultur“, sagt Ann. Ist es nicht brutal, ein Haustier zum Verzehr zu töten? Koreaner sähen in den Schlachthunden keine Haustiere, sagt Ann. Das Halten von Schoßhunden sei ein noch junges Phänomen. „Im Grunde hat es erst angefangen, als wir nicht mehr hungrig waren.“

Glaubt man Professor Ann, so ist Hund nicht nur schmackhaft sondern auch gesund. „Das Fleisch ist cholesterinarm und leicht verdaulich“, sagt er. In einem Feldversuch an mehr als 1000 Koreanern hat der Professor die Fleischqualität untersucht. „Es macht die Haut der Frauen sanft und stärkt die Stamina der Männer“, behauptet Ann. Den Glauben vieler koreanischer Männer, dass Hundefleisch ihre Liebeskraft erhöht, sei jedoch ein Gerücht. „In China hat man Versuche gemacht, welche Rasse am besten für die Zucht geeignet war“, fährt Ann fort. Geschmacklich seien die Tiere kaum zu unterscheiden. Bernhardiner seien jedoch für die Fleischgewinnung am besten geeignet. „In Korea züchten wir aber nur einheimische Mischlinge für die Schlachtung“, versichert Ann.

Vier braune Mischlinge hecheln in der Sonne. Als die Stange mit dem Elektroschock in den engen Käfig fährt, versucht der erste Hund sie zu lecken: Nach einem Zischgeräusch und einem kurzen Zucken ist das Tier tot. Um die Schnauze steigt eine kleine Rauchwolke auf. Wenige Minuten später liegen drei der vier Hunde reglos am Käfigboden. Wir sind in einem Hundeschlachthaus. Den Ort und die echten Namen sollen wir nicht veröffentlichen. Früher seien Hunde todgeprügelt oder erdrosselt worden“, sagt der Besitzer, den wir Herrn Park nennen. Heute versuche man, die Tiere möglichst rasch und schmerzlos umzubringen. „Wenn die Regierung das Hunde-Schlachten legalisieren würde, könnte ich einen Tierarzt einstellen, der alles überwacht“, sagt Park. Im Moment hat er nur eine Lizenz für Enten. Zusammen mit seinen beiden erwachsenen Söhnen schlachtet er jeden Morgen mehr als ein Dutzend Hunde.

Die Söhne schmeißen den ersten Hund in einen Bottich mit heißen Wasser. Es riecht nach nassem Fell und Kot. Eine Art Waschmaschine, oben offen und mit Gumminoppen an den Seiten, zieht dem Tierkadaver das Fell ab: Wie in einem Mixer wird der Hund ein paar Minuten durchgedreht, bis er nur noch aus rosa Haut besteht. Mit einem Flammenwerfer brennen die Männer die Ohren und die letzten Fellreste weg. Sie schneiden den rosa Bauch auf, ziehen die Innereien raus und spülen den Darm aus. Ein paar Minuten später liegen die drei Hunde ausgenommen auf dem Beton, die verbrannte Haut qualmt noch, wie bei einem Spanferkel. Heute Abend werden die Hunde in einem Restaurant in Seoul oder in einer anderen Stadt serviert.

„Mary! Maaaryyy!“ Die junge Frau mit der Designerhandtasche ruft ihren weißen Spitz zu sich. Mary ist im „Lovely House“ als nächste dran - einmal Fönen und Shampoo. Das „Lovely House“ ist einer der beliebtesten Hundefriseure Seouls. Hier gibt es alles, was Frauchens Herzen höher schlagen lässt: Importierte „Premium Hundekekse“, Samtkissen in Herzform und Designer-Kämme. Der Laden hat seine eigene Modekollektion für Hunde entworfen - für 35.000 Won gibt es eine Militär-Uniform in Tarnfarben. „Das Hunde- Hochzeitskleid ist leider unverkäuflich“, sagt die Managerin, Moon Yong-soo. Das Geschäft mit Schoßhunden boomt. Vor kurzem eröffnete in Seoul eine Hunde-Klinik, die mit modernster Medizintechnik Krebsoperationen durchführt. Die Firma „Louisdog“ bietet spezielle Hunde-Möbel an - 100.000 Won für ein Sofa (100 Prozent wasserfest). Eine koreanische Hundezeitung (www.gangazi.co.kr) meldet im Internet die neusten Hundenachrichten. Für einsame Hunde gibt es spezielle Vermittlungsagenturen (www.ddoopet.com), wo Rassehunde ihren Rassepartner finden können. Und wenn das geliebte Tier doch eines Tages sanft entschlummert, holt das Hunde-Bestattungsunternehmen Arong den Hund mit einer Luxuslimousine ab - zur Stilgerechten Bestattung samt Holzsarg.

Auch Meister Ju Chang-jin arbeitet mit Hunden. Er betreibt in Wonpyong einen kleinen Saftladen. Im kurzärmeligen Hemd steht der 41jährige zwischen chromglänzenden Druckkesseln. „Wir verarbeiten Birnen, Äpfel, Kurbisse und Hunde“, sagt er. Nur die Hälfte der Hunde wird in Korea als Fleischgericht verzehrt, die andere wird zu „Hunde Saft“ verkocht. Das Tonikum, mit dem Strohhalm getrunken, gilt als gesundheitsfördernd. „Das Tier bringen die Kunden meistens selbst mit“, sagt Ju. Der tote Hund wird samt Kopf in einen Kessel gelegt und zehn Stunden ausgekocht. Je nach Geschmack und Wunsch fügt Meister Ju Ginseng und chinesische Heilkräuter zu, filtert und verpackt anschließend den braunen Saft in kleine Plastikpäckchen. „Aus einem Hund pressen wir etwa 100 Päckchen“, sagt Meister Ju. Ein Hundeleben in Korea - zwischen entkoffeinierten Kaffee und Entsaftung.

Erschienen in Stuttgarter Zeitung

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